Ich war zwölf Jahre jung, da beschloss ich, Tänzerin werden zu wollen. Ich hatte erste Erfahrung mit Jazztanz gesammelt und war begeistert. Wollte weiter machen, alles lernen – Ballett, Jazz und Stepptanz.
Wenn man das beruflich machen möchte, muss man zum Vortanzen gehen. Audition nennt sich das Neudeutsch. Ich hab’s probiert und bin in der ersten Runde rausgeflogen. Dicke, fette Tränen hab‘ ich geweint. Aber das war lediglich mein erster Versuch.
Musikalisch verwirrt, wie ich in meinen Teenagerjahren war, haben mir damals Musicals gefallen. Und wer bei solchen mitwirken möchte, muss nicht nur tanzen, sondern auch singen und schauspielern können. Also, kurzerhand: die Mama angefleht, ja, ich weiß, Gesangsstunden sind teuer und wir haben angeblich nicht viel Geld, aber es geht um meinen großen Traum und der ist wichtiger, als alles andere in meinem Leben.
Ich seh’ in meiner Tanzschule den Aushang eines Gesangslehrers und zwei Wochen später fange ich an, schüchtern zu trällern. Weil, ich weiß nicht wirklich, wie das geht. Damit meine ich, dass mir nicht klar ist, dass es die zarte Kopfstimme und die kräftige Bruststimme gibt. Ich traue mich nicht so recht und bleibe bei der ersten Variante. „Süß“ und „hell“ sei meine Stimme – was als positives Feedback gemeint war, kommt bei mir gar nicht gut an.
Jetzt bringt man das vielleicht nicht unbedingt mit Musicals in Verbindung, aber ich will kräftig und dunkel sein. Äh, singen.
Ein paar Monate vergehen und ich gehe zu meinem zweiten Vortanzen, inklusive Singen und Schauspiel-Improvisation. Überwinde drei Hürden und scheide erst in der letzten Runde aus. Diesmal bin ich gar nicht so enttäuscht, obwohl ich’s fast geschafft hätte. Gerade weil ich so weit gekommen bin, sehe ich voller Hoffnung in meine Zukunft als Musicaldarstellerin.
Kurz darauf nehme ich im Sommer an einem dreiwöchigen Workshop teil. Mit allem, was dazugehört. Tanzen und Schauspielen in der Gruppe, Gesangsunterricht auch einzeln. Am Ende eine Aufführung. Ich singe zum ersten und letzten Mal in meinem Leben ein Solo und traue mich über die Bruststimme drüber.
Und jetzt kommt’s!
Gesangslehrer T., der mit meiner Tanzschule verbandelt ist und mich vor dem Workshop zwar nicht gekannt hat, ich ihn aber sehr wohl – er war mir ein Begriff, wie es so schön heißt – hat die Frechheit, mir nach der geglückten Aufführung in Bezug auf die unlängst schiefgegangene Audition zu sagen: „Wenn wir dich vorher gekannt hätten, hätten wir dich aufgenommen.“
Und da war sie wieder: die Enttäuschung. Reicht Talent alleine nicht aus? Muss man mit jemandem verbandelt sein, sprich beim richtigen Gesanglehrer Unterricht nehmen, um bei einer Produktion mitwirken zu können?
Mir scheint, ja.
Wahrscheinlich wollte er mir Mut machen, so nach dem Motto: „Jetzt kennen wir dich. Mach weiter.“ Ich hingegen war maßlos enttäuscht von der Szene und der Tatsache, dass ich zwar augenscheinlich Talent hatte, mir aber die Kontakte gefehlt haben. Also hab’ ich das Handtuch geschmissen und bin Studieren gegangen.
Ich scher’ mich einen Dreck um Vitamin B, so viel ist klar. Und das, so meine ich, macht aus mir einen gradlinigen, standhaften Menschen.
Darauf bin ich mehr stolz als ich es jemals auf mich sein könnte, wenn ich diesen oder jenen Job bekommen hätte, weil ich die „richtigen“ Connections habe.