Meine Sprache, deine Sprache

Ich bin Wienerin und verschweige mittlerweile recht gerne, dass ich eigentlich ganz gut Ungarisch spreche. Das hat persönliche Gründe und von dem Mantra: „Jede Sprache hilft dir im Beruf und ist somit eine Ressource.“, bin ich ganz weit weg. Es kann schlichtweg identitätsstiftende Gründe haben, den Gebrauch einer Sprache abzulehnen.

Rückblick, April 2012. Meine Mutter lädt mich zur Feier meines Uniabschlusses zum „Diversity Ball“ ein. Menschen mit und ohne Behinderung, Personen verschiedener sexueller Orientierung und Identität sowie weitere im täglichen Leben diskriminierte Minderheiten feiern eine Nacht lang gemeinsam bis in die Morgenstunden. Conchita Wurst, damals noch nicht ganz so berühmt, liefert eine Showeinlage ab.

Dann gehen meine Mutter und ich mitsamt Aperol Spritz’ hinaus, um eine verhängnisvolle Zigarette zu rauchen. Das Thema „Integration“ ist in aller Munde, wobei ich meine, dass die meisten Österreicher- und innen den Unterschied zwischen besagter Integration und Assimilation nicht kennen, also von Ersterem reden, wenn sie Letzteres meinen. So.

„Die Ausländer…“, beginnt meine Mutter, gebürtige Ungarin, das Gespräch. Ich gehe in verbale Deckung und beschließe, ihr erst mal zuzuhören.

Mir platzt jedoch der Kragen, als sie damit kommt, dass ein Bub, der in Wien geboren wird, jedoch türkische Eltern hat, nun mal ein türkischer Junge sei und sicher kein Österreicher oder Wiener.

Ich habe lange gebraucht, um mir meiner Identität bewusst zu werden, mir eine „auszusuchen“, mit der ich mich wohl fühle. Ich bin nicht die „kleine Ungarin“, auch nicht „halbe-halbe“, denn gespalten fühle ich mich schon gar nicht. Ich bin schlichtweg Wienerin, wie so viele andere mit unterschiedlichsten Wurzeln es meiner Ansicht nach auch sind. Durch den Standpunkt meiner Mutter fühlte ich mich also persönlich angegriffen und es kam zu einer Diskussion, die sie schließlich mit folgenden Worten beendete: „Besprechen wir das ein anderes Mal.“ Die Stimmung zwischen uns war dann nicht mehr so ausgelassen, wie zuvor.

Jetzt ist es so, dass ich bei meiner zuhause Ungarisch sprechenden Mutter aufgewachsen bin, jedoch Deutsch als „meine Sprache“ betrachte. Es ist definitiv die Sprache, die ich am besten beherrsche und in der ich mich zuhause fühle. Ich spüre schlichtweg: Ungarisch, das ist aufgesetzt, das bin nicht ich.

Im Lauf der letzten Jahre habe ich es mir also, ohne es großartig zu erklären, angewöhnt, mit meiner Mutter Deutsch zu reden. Sie meint, nach mehr als 30 Jahren in Wien besser Deutsch zu können, als Ungarisch. Redet mit mir jedoch weiterhin hauptsächlich Ungarisch.

Ich möchte an dieser Stelle nicht über meine Jugendzeit lamentieren. Muss aber anmerken, dass ich zuhause nicht besonders glücklich war. Das ist einer der Gründe, um ehrlich zu sein der für mich wichtigste, warum ich die ungarische Sprache, die ich als Sprache meiner Mutter kenne, mittlerweile ablehne.

Für manch einen mag es eine vergeudete Ressource sein. Für mich hat es mit Selbstbewusstsein und meiner Identität zu tun, wenn ich mir und anderen deutlich zu verstehen gebe: „Ich bin Wienerin.“

Erde an Universum

Lieber Opa,
Es mag sein, dass es für manches zu spät ist, weil dein Körper nicht mehr auf der Erde verweilt. Ich bin mir aber sicher, dass – es mag eine etwas kindliche Vorstellung sein – deine Seele zufrieden umherschwirrt, fröhlich und unbeschwert. Insofern ist es sicher nicht zu spät, um dir von mir zu erzählen.
Letzten Sonntag bin ich nach vier Tagen aus Berlin zurückgekommen und war am Abend mit meinem Freund bei einem Konzert, das mich sprachlos gemacht hat. Hier also der Link zu einem Song von einem meiner Lieblingsmusiker: Glen Hansard / When Your Mind’s Made Up

Weißt du, was an dem Abend noch ganz toll war? Wir sind nach dem Konzert etwas trinken gegangen, haben danach zuhause gejausnet unhd sind erst um vier in der Früh schlafen gegangen. So lange war ich schon ewig nicht mehr auf und es war, als wäre ich wieder Anfang zwanzig und frisch auf der Uni.
Ich trinke seit Anfang des Jahres keinen Alkohol. Nicht wegen dem Antidepressivum, das ich nehme – man kann auch ab und zu ein Glas Wein trinken, wenn man Psychopharmaka nimmt. Ich möchte einfach nichts trinken. Schmunzelst du gerade?
Seit letzter Woche bin ich auf Zucker-Entzug. „Schritt für Schritt“, denke ich mir und sage mir daher gar nicht, dass ich in meinem ganzen Leben nie wieder etwas Süßes essen werde. Aber dieses extrem süße Industriefutter, ob das nun Schoko oder Cola ist, möchte ich meinem Körper nicht mehr antun.
Ich trinke nicht mehr so viel Kaffee wie früher, und die einzige Droge, die ich mir noch zuführe, sind Zigaretten. Aber eins nach dem andren, oder? Ich will ehrlich gesagt gar nicht aufhören, zu rauchen. Aber ein bisschen weniger zu pofeln, wäre schon fein. Wie findest du das?
Weißt du, woran ich mich noch erinnern kann, als wäre es gestern gewesen? An die Wochenenden bei Papa und Mama und die Samstage bei dir. Ich schreibe ja schon immer gerne und bei dir gab es diese coole, altmodische Schreibmaschine. Nach dem Mittagessen – ich habe deinen warmen Schokokuchen mit Schlagobers geliebt und mich immer darauf gefreut – haben sich die Erwachsenen unterhalten und ich bin dann ab zur Schreibmaschine, und habe meine ersten Fantasiegeschichten geschrieben. Das waren schöne Zeiten und ich denke gerne daran.
Ich melde mich bald wieder bei dir, wir haben uns ja noch viel zu erzählen!
Du hast einen festen Platz in meinem Herzen.
Deine Enkelin

Käse und Salami

Es geht um dieses Käsebrot, das ich mit meinem Großvater nicht mehr essen werde, weil er nicht mehr lebt.

Um das Salamibrot mit Kakao in der Früh, welches mir die Oma in Budapest immer angerichtet hat, wenn wir zu Besuch waren. Auch sie weilt nicht mehr unter uns.

Sicher ist es verständlich, ja menschlich, wenn man den Verlust geliebter Menschen betrauert. Ich muss jedoch ein Stück mehr trauern, weil mir rund zehn gemeinsame Jahre mit der Oma und dem Opa schlichtweg weggenommen worden sind. Von der Frau, die ich unlängst zum ersten mal als meine „leibliche Mutter“ bezeichnet habe.

Die echte Mama, die habe ich auch lange nicht gesehen. Sie ist herzlich, liebevoll, fröhlich und erfahren, teilt ihre Weisheit mit mir. Und zu dieser Person passt der Präfix „Stief-“ nicht. Denn sie ist viel mehr als das.

Letzte Woche war ich mit meiner Tante und Cousine in Berlin. Nach vielen Gesprächen, in denen es zwar nicht immer, aber viel um unsere Familie gegangen ist, gibt es für mich Einiges zu betrauern.

Opa, ich hätte dich gerne besser gekannt. Oma, ich wäre gerne öfter zu dir nach Budapest gekommen.

Ihr fehlt mir.

Johnossi / Family Values

Greetings from the system

Ich versuche, auf die Meta-Ebene zu gehen und zu analysieren, was mir gestern passiert ist. Ja, es ist mir unangenehm.

Ich bin in einem „sozialen“ Netzwerk online und sehe die Werbung eines Geschäftes, das ich zwar kenne, aber nicht abonniert habe. Rede mir ein, als Katzenmama m-u-s-s ich dieses Konsumobjekt mit Katzenmuster unbedingt haben. Schwupps, ist es im Warenkorb und bestellt.

Eine weitere, mir ganz sympathische Ausrede: es ist nicht irgendein Shop, sondern einer, der nachhaltig produziert – ihr wisst schon. Bio-Baumwolle, Fair Trade und so. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich mir vorgenommen hatte, erst mal keine Fetzen zu kaufen. Warum? Weil ich genug davon habe und ich außerdem sparen möchte.

Nun ist es aber Teil der Logik dieses Systems, dass es immer etwas Neues geben muss, das man noch nicht hat. Man will schließlich vorn dabei sein, oder? Ich mein‘, o.k., ich hab‘ mir kein Auto oder sonstwas gekauft, mich nicht in Schulden gestürzt und musste mir auch kein Geld ausborgen, um besagten Artikel zu kaufen. Werde aber, so ehrlich muss ich sein, kurz in‘s Minus rutschen, denn das nächste Gehalt kommt erst in einer guten Woche.

Natürlich kann man bestellte Artikel zurückschicken, aber ich kenne mich zu gut, um mir einzureden, ich werde es machen. Denn noch immer werde ich von diesem Gedanken beherrscht, muss ich ehrlich sagen: „So etwas habe ich wirklich noch nicht, das ist etwas ganz Besonderes!“

Wie also raus kommen aus dieser systemischen Falle?

Ich werde es so versuchen: mehr Selbstliebe. Es wird dauern, aber ich bin 32 und habe noch Zeit. Denn je mehr ich mich akzeptiere und mich gern habe, desto weniger werde ich es brauchen, mein mangelndes Selbstbewusstsein mit Äußerlichkeiten wettzumachen. Ich werde an die Worte von T. denken, für den ich etwas Besonderes bin.

Ich will nicht alles auf meine Kindheit bzw. Jugend schieben. Fakt ist jedoch, dass ich kein Taschengeld bekommen habe und so als Heranwachsende nicht lernen konnte, mit Geld umzugehen. Wenn ich etwas haben wollte, musste ich also meine Mutter fragen, und das, bis ich volljährig wurde. Sie meinte zwar immer, wir hätten kein Geld und seien arm, doch ich spürte und erlebte im Alltag, dass das nicht die ganze Wahrheit sein konnte.

Mittlerweile habe ich einen Haushaltsplan mit meinen Fixkosten erstellt und lege mir jeden Monat etwas zur Seite. Und denke mir: gestern einen Schritt zurück, heute und morgen zwei Schritte vor.

The truth is somewhere out there

Seit Jahren arbeite ich innerlich daran, mich von dem zu emanzipieren, was auf diesem Blatt Papier steht. Was die sogenannten Experten versucht haben, mir einzureden.

„Man kennt sich selber am Besten.“, denke ich mir in letzter Zeit immer öfter. Gewinne dadurch an Selbstvertrauen und Sicherheit.

Um es in ein Wort zu fassen: Depression. Nicht schizo-affektiv, nicht bipolar, sondern schlichtweg depressiv ist der Zustand, der mich seit Jahren mal mehr, mal weniger stark und mal gar nicht begleitet.
Da muss ich mich zurück erinnern an meine Jugendzeit. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit war damals schon stark in mir präsent. „Ich warte auf etwas, ich warte darauf, dass es besser wird, wobei ich nicht weiß, worauf ich warte.“, formulierte ich es meiner Mutter E. gegenüber, als ich zwanzig war. Daraufhin schickte sie mich zu einer Psychiaterin.
Einmal war ich dort und dann nie wieder.
Wollte – konnte? – damals noch keine Hilfe annehmen, und schon gar nicht, wenn der Anstoß von E. kam. Es sollte ein Jahrzehnt dauern, bis ich es mir selber wert war, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Damit es besser wird und ich ein zwar von Höhen und Tiefen geprägtes, aber alles in allem dennoch glückliches Leben führen kann.

„Sometimes depression means not feeling anything at all.“, habe ich kürzlich gelesen. Und da fand ich sie, meine persönliche Wahrheit, versteckt in der Überschrift eines Artikels. Doch ich hatte zu viel Angst davor, mich in diesem Artikel wiederzufinden, also hab’ ich ihn lieber nicht gelesen. Ebenso vor ein paar Monaten ein Artikel, in dem es um Selbstmord ging. Auch diesen konnte ich nicht lesen, schaffte es lediglich, die Überschrift samt Titelfoto zu überfliegen. „This picture shows that depression has no face.“ Abgebildet war ein lächelnder, unbeschwert wirkender Mann mit seiner Famile, eine Woche bevor er sich das Leben genommen hat. Auch darin konnte ich mich wiederfinden. Denn oft genug haben mir diese selbsternannten Experten gesagt: „Na, so schlimm ist es aber nicht, oder?“, weil ich meine Maske auf hatte und nach außen nicht nicht verzweifelt und traurig gewirkt habe. Was soll man auf so etwas sagen? „Doch!“, wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber ich lerne nach wie vor, darüber zu reden, wie es mir geht, es auch zu zeigen, in Beziehung zu treten und zu bleiben. Das kann auch mal heißen, zu streiten und nicht der selben Meinung zu sein.

Nun habe ich seit einem halben Jahr zum ersten Mal einen Psychiater, der mich und meine Meinung ernst nimmt und nicht nach Schema F aus diesem oder jenem Lehrbuch vorgeht. Einen Arzt, der mir nicht sagt, dass ich chronisch krank bin, sondern dass ich Phasen einer Erkrankung erlebt habe, die hinter mir liegen. Und dass ich nunmehr stabil, sprich gesund, bin. Ich will mich gar nicht an all die Ärzte davor erinnern, die in meinen Augen keine Experten mehr sind. Sondern bin schlicht weg froh, einen Fachmann gefunden zu haben, der auf einer Augenhöhe mit mir redet. Denn das macht es mir leichter, mich zu öffnen.

Meine Angst vor Auseinandersetzungen lege ich Stück für Stück ab. Weil es die Liebe in meinem Leben gibt. T. bleibt bei mir, auch wenn ich mal trotzig wie ein kleines Kind bin. Das mache ich, weil es mir manchmal noch schwer fällt, das zu zeigen, was wirklich in mir vorgeht.
„Ich will nachhause!“, jammerte ich nach drei Stunden Zugfahrt, als wäre ich im Kindergartenalter. Dabei dachte sich mein erwachsenes, gereiztes Ich: „Ich brauch sofort eine Zigarette, sonst dreh’ ich durch!“ Es fällt mir noch schwer, Gereiztheit oder gar Zorn zu zeigen, weil ich diesbezüglich die Fesseln der Vergangenheit noch nicht abgelegt habe.

Meinungsverschiedenheiten waren in meiner Kindheit und Jugend immer damit verbunden, nicht gehört zu werden und mit emotionalen Schmerzen alleingelassen zu werden. Die Umdeutung, das re-framing ist im Gange und so habe ich immer weniger Angst davor, meine Meinung zu sagen.

Appetitlosigkeit, wenig Bedürfnis nach Schlaf und Lebensfreude. Wer kennt das? Jeder, der schon mal verliebt war. Aber den Stempel „krank“ bekommt man erst aufgedrückt, sobald man im Spital ist. Und im ersten Moment habe ich ihnen geglaubt, dass ich manisch sei. Rückblickend habe ich mich von diesem Standpunkt – denn mehr ist es in meinen Augen nicht mehr – emanzipiert.
Damals stand ich am Anfang meines drogenfreien Lebens und ich muss zugeben, das erste Jahr war nicht leicht und geprägt von Rückfällen. Es musste also ein Ersatz her, und der hieß Koffein. Man stelle mir bitte jemanden vor, der 10 Tassen Kaffee am Tag trinkt und nicht überdreht ist, keine Schlafprobleme hat. Eben.

Weihnachten wird erwachsen 

Zum ersten Mal in meinem Leben geht das alljährliche Klimm-Bimm fast komplett an mir vorbei, und ich genieße es.

Die meisten Leute sind um diese Jahreszeit ja komplett irre. Das hab ich am eigenen Leib erfahren und gespürt, als ich am 23. ein paar Erledigungen machen musste. Nein, keine Weihnachtseinkäufe. Ich musste zur Post, zur Apotheke, etc. Dazu musste ich in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum, wo wenig überraschend die Hölle los war. Ich hab’s letztendlich hinter mich gebracht und zuhause hab ich dann so richtig gemerkt, wie geladen ich war. Eigentlich aufgeladen, von der stressigen Atmosphäre und der Energie meiner Mitmenschen.

Also musste ich ausrasten, und zwar so richtig. Ich hab mich also in den  Lehnsessel fallen lassen, meinen Liebsten vorgewarnt und ihm gesagt, ich müsste kurz durchdrehen. Dann habe ich alle Viere von mir gestreckt und mich durchgeschüttelt, bis ich das Gefühl hatte, wieder ich zu sein.

Gestern hatte unser Kater einen kleinen häuslichen Unfall und ich bin mit ihm zur Haustier-Ambulanz gefahren. Danach hat sich das Ladekabel meines Laptops verabschiedet. Am Abend gab’s Restlessen und schließlich bin ich gegen 19 Uhr am Sofa eingeschlafen. Heiliger Abend, mal anders.

Ich glaube, es wird noch etwas dauern, bis ich aus meiner Weihnachten verweigernden Trotzphase draußen bin. Aber als mir die Stiefmama heute am Telefon gesagt hat, ich könne eines Tages, wenn ich wieder feiern möchte, eben das mit ihr und dem Papa machen, hab ich mich schon gefreut!

Aber jetzt ess‘ ich erst mal Tiefkühl-Junk, denn auch das gehört für mich zur weihnachtlichen Emanzipation von den zum Glück hinter mir liegenden Festen mit meiner Mutter und meinem Bruder dazu. Mahlzeit!

Du

In zehn Tagen ist es genau zwei Jahre her, dass wir uns zum letzten Mal gesehen haben.

Ich bin gut darin, mir gewisse Dinge einzureden. Und Gedanken, die man immer wieder durchkaut, verstärken sich, sagt mir T. immer wieder und versucht, mir einen Stupser in Richtung positives Denken zu geben. Aber das ist nicht so leicht für mich.

Immer wieder rede ich mir ein, ich würde die Situation akzeptieren und hätte für’s erste mal damit abgeschlossen. Doch dann rede ich mit meiner Therapeutin, meinem Facharzt oder einer Freundin über dich, genauer gesagt, über unser nicht vorhandenes Verhältnis, und ich werde emotional. Meine Stimme wird dann laut und ich spüre, dass es mich aufregt. Nein, nicht ein undefinierbares „es“. Du regst mich auf.

Ich muss ein Stück in der Zeitachse zurück gehen. Als ich vor anderthalb Jahren den Kontakt zu unserer Mutter zeitweilig abgebrochen habe, war mir klar, dass ich dich auch nicht mehr sehen werde. Das wusste ich, schließlich gibt es euch nur im Doppelpack.

Weißt du, dein Desinteresse an mir, das schmerzt. Früher, da habe ich mich noch gefragt, was zur Hölle ich dir angetan haben könnte. Womit ich deine Arroganz und Ignoranz mir gegenüber verdient habe. Mittlerweile bin ich mir im Klaren darüber, dass es nicht an mir liegt, sondern vielmehr an dir.

Meinst du, ich sei abtrünnig und „die Böse“, weil ich vor mittlerweile sieben Jahren Kontakt zum väterlichen Teil unserer Familie gesucht habe? Dazu kann ich dir nur sagen – das sind herzensgute Menschen und ich kann mir ein Leben ohne sie und die Stärke, die sie mir geben, nicht mehr vorstellen. Lebst du noch immer in der Welt – in dem Dogma – unserer Mutter?

Sie hat jahrelang versucht, und einzureden, wie furchtbar angeblich alle in der Familie sind – bis auf uns drei. Was habe ich damals gemacht? Mit einer gesunden Portion Wut reagiert und mich vor euch zurückgezogen, mich immer weiter von euch entfernt. Und du, hast E. immer brav zugehört, wie ein Musterschüler. Hast ihr stets beigepflichtet, wenn es wieder mal hieß, der Papa hat dies und das gemacht und ist so ein … Mensch, die Tante D. hat jenes verbrochen und so weiter.

Mittlerweile bist du fünfunddreißig Jahre alt und lebst, abgesehen von einem längeren Auslandsaufenthalt, noch immer im Hotel Mama. Da muss ich dir ganz ehrlich sagen, dass ich dich nicht respektieren kann. Soweit ich weiß – sofern du unserer Mutter die Wahrheit sagst – müssen wir mit ähnlich wenig Geld auskommen. Ich wohne dennoch nicht beim Papa und der Stiefmama und lasse mich durchfüttern. Ich stehe mit beiden Beiden fest am Boden und wenn’s unter mir mal wackelig wird, bitte ich sie um Hilfe. Aber das ist doch ganz normal, oder? Ist es nicht ein fester Bestandteil der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, dass die jüngeren Rat suchen und sich anlehnen können, wenn’s mal kriselt? Doch von zwischenmenschlichen Beziehungen scheinst du nicht viel zu verstehen.

Unlängst, da musste ich in der Therapie lachen. Weil ich Dr.in K. erzählt habe, dass ich unsere Mutter treffen werde und ich ein Nikolosackerl für sie habe. Ich wollte ihr eine Freude machen, habe aber bewusst nach einem Sackerl gesucht, auf dem nichts von wegen Weihnachten drauf stand. Weil Weihnachten ignoriere ich, was euch beide betrifft. Ich werde euch kein frohes Fest wünschen. Warum?

Weil das „Fest“ mit euch für mich jahrelang eine angespannte, gekünstelte Angelegenheit war und ich froh bin, dass ich diesbezüglich spät, aber doch einen Schlussstrich gezogen habe. Also habe ich der Mama gesagt: „Alles Liebe zum Nikolo.“ Ein frohes neues Jahr werde ich ihr auch wünschen. Aber dir – wünsche ich nichts. Nichts Gutes, nichts Böses.

Mögest du auf ewig in Mama’s Schoß glücklich sein.

R. in meinem Herzen 

R. war mit mir in der Tagesklinik, als ich 2013 zum ersten Mal im Krankenhaus war. Ich konnte damals weder meine bipolare Störung annehmen, noch mir vorstellen, was das Ausmaß einer Angststörung mit einem macht, unter der sie gelitten hat.

Sie hat in jeder Pause gestrickt und immer ein Lächeln für mich gehabt, wenn wir uns in der Früh begrüßt haben. Nach kurzer Zeit war mir klar, was für ein warmherziger Mensch sie sein musste.

Freitag Vormittag, Einzelvisite. Da muss man warten und warten, bis man an der Reihe ist. Ich setze mich zu R. und sie meint, sie könne mir gerne beibringen, zu stricken. Ich bin Feuer und Flamme. Sie werde alles besorgen, ich brauche mich nicht vorzubereiten.

Am Montag drauf kommt sie in der Früh, mit einem dicken Wollknäuel und einer Rundstricknadel. Ich will immer wieder den falschen Faden nehmen, sie ist geduldig mit mir und erklärt mir alles fünf mal, wenn’s notwendig ist. Wenige Wochen später präsentiere ich ihr das Ergebnis, meinen ganzen Stolz: meinen ersten selbstgestrickter Schal!

Nach unserer gemeinsamen Zeit in der Klinik haben wir uns nur noch einmal gesehen, als ich sie rund ein Jahr später im Krankenhaus besucht habe. Was habe ich ihr mitgebracht? Ein Wollknäuel und meine liebsten Stricknadeln.

Und so asozial so manche dieser neuen Medien sein mögen, für eine Sache sind sie dennoch gut. So alle ein, zwei Jahr im Herbst schreibe ich R. und frage sie, wie es ihr geht. Nicht, ohne zu erwähnen, dass ich wieder mal im Strickfieber bin. Einmal habe ich ihr berichtet, dass ich mir mit Videos das Häkeln beigebracht habe. Ein anderes Mal habe ich ein Foto von einer Haube mitgeschickt, die ich selber gestrickt hatte.

Denn stricken und häkeln, das ist für mich mehr als ein Hobby. Die ersten Monate nach der Tagesklinik, als ich ohne Arbeit viel zuhause und noch im Krankenstand war, hat es mich wahrlich gerettet. Im Krankenhaus sind Handarbeiten schließlich Therapie und ich hab’s mir nachhause mitgenommen.

Mein Verhältnis zu R., das hauptsächlich darin besteht, dass ich oft mit einem warmen Gefühl im Bauch an sie denke, zeigt mir, wie verbunden und dankbar man einem Menschen sein kann, obwohl man ihn kaum sieht. Sie hat einen festen Platz in meinem Herz.

Es ist übrigens mal wieder an der Zeit, ihr zu schreiben.

Echt jetzt?

Ich frag’ mich, was mit den Leuten los ist.

Gestern sitz’ ich in der Straßenbahn, ein junger Mann mir gegenüber. In der Bim ist’s meistens recht kuschelig eng, also zwischen uns großzügig geschätzte vierzig Zentimeter Abstand, wenn überhaupt. Besagter Mann studiert seine Lernunterlagen mit mäßigem Interesse. Das wär’ an sich noch nichts Besonderes, mir ging’s genauso, als ich noch in der Schule war.

Jetzt war’s aber so, dass er gezählte fünf Mal innerhalb weniger Minuten sein Maul aufgerissen hat, um zu gähnen. Ohne sich die Hand vorzuhalten, versteht sich.

Dann bin ich in der U-Bahn und ich denk’ mir: seid ihr alle Ellbogen ausfahrende Aggro-Roboter?

Meine Mitfahrenden stürmen rein, als wenn’s Krieg geben würde, wenn sie jetzt keinen Sitzplatz ergattern. Auch die Bahn ist vollgestopft und es gibt dann besonders freundliche und intelligente Exemplare der Spezies Mensch, die sich mit Vorliebe bei den Türen zum Ein- und Aussteigen versammeln. Weiter drinnen im Waggon, wo man ebenso gut stehen und sich festhalten kann, herrscht gähnende Leere.

Ich mach’ das ja so: wenn ich bei der nächsten Haltestelle aussteige, suche ich die Nähe der Tür. Wenn ich länger fahre, gehe ich gen Waggoninneres, um Niemandem im Weg zu sein. Und ich find’ das gut so!

So manch einer meiner Mitpassanten muss jedoch unbedingt im Weg stehen, zumindest habe ich diesen Eindruck.

Also folgendes Bild: Die Leut’ tümmeln sich bei den Türen, und wenn jemand einsteigt – in der Früh zur Hauptverkehrszeit irgendwie kein Wunder, oder? – muss sich der/diejenige erst Mal in’s Innere des Waggons kämpfen. Und das machen die Leute mit Vorliebe mit einem grantigen, um nicht zu zusagen aggressiven, Gesichtsausdruck und mit ausgefahrenen Ellbogen. Kein „Entschuldigung, darf ich mal durch?“, sondern: Besagte Ellbogen raus und los geht’s.

Im übrigen bin ich dafür, dass es in Öffis eine Aufsichtsperson geben sollte. Die hätte die Aufgabe, Sitz- und Stehplätze zu verteilen, je nachdem, wie lange man fährt. Also zum Beispiel: „Aha, Sie fahren bis zur Endstation. Bitte nehmen Sie hier Platz.“ Oder: „Sie fahren vier Stationen? Bitte entfernen Sie sich von der Tür.“

Should I be worried?

Ich habe den Eindruck, T. schaut besorgt. Er fragt mich, ob es mir gut geht. „Ja.“, sage ich. Es dauert ein bisschen, aber schließlich kommt das Gespräch in die Gänge. Und ich schaffe es, ihm anzuvertrauen, dass ich mir in letzter Zeit schon ein bisschen Sorgen gemacht habe.

Warum? Weil ich so aktiv bin. Mir wird nicht so schnell langweilig, wenn es mir gut geht. Zeichnen, schreiben, kochen, backen, häkeln und stricken, und seit Neuestem auch nähen. Ich arbeite 20-25 Stunden pro Woche und habe somit einiges an Freizeit. Die weiß ich zu gestalten. Warum also sich Sorgen machen?

Weil ich manchmal, in diesen ruhigen Momenten, Angst davor habe, dass dieses wohlige Gefühl der Anfang einer Manie ist und das Ganze nach hinten losgehen wird.

Ob ich mich angetrieben fühle, fragt mich T. „Nein, aber am Anfang ist die Manie ja angenehm und das ist das Heimtückische daran.“, erwidere ich.

Vor genau zwei Jahren bin ich zum ersten – und bisher einzigen – Mal in diesen Zustand geschlittert. Bin auf meiner Couch gesessen und es war, als fiele es mir wie Schuppen von den Augen. Nach mehreren Phasen der Depression, sich endlich mal wieder gut zu fühlen und zu denken: „Das Leben ist schön!“

Ich habe auch mit meinem Facharzt darüber geredet. Er meinte, ich sei nun mal ein lebhafter Mensch und müsse mir erst Sorgen machen, wenn ich anfange, weniger als sechs Stunden zu schlafen und wenn mein Appetit abnimmt.

Lebhaft – es war schön, das zu hören. Weil es mich an die „gute, alte Zeit“ erinnert hat, bevor die Erkrankung ausgebrochen ist. Uni, zum Teil zwei bis drei Nebenjobs, Freizeitaktivitäten – all das unter einen Hut zu bringen, war jahrelang normal für mich. Vielleicht war es über einen längeren Zeitraum etwas zu viel, so dass die (Erschöpfungs-)Depression kommen musste? Ich weiß es nicht.

Was ich jedoch weiß ist, dass ich ein soziales Netz um mich herum habe, das mich liebt und auf mich schaut. T., meine Familie und Freundinnen. Dazu eine einfühlsame Therapeutin, die mich nach zwei Jahren Beziehungsarbeit ziemlich gut kennt und zu guter Letzt ein Facharzt, der mich seit meinem ersten Aufenthalt in der Psychiatrie im Sommer 2013 kennt.

Also. Wenn es mich freut, werde ich am Wochenende und an meinem freien Nachmittagen ganz einfach weiterhin zeichnen, schreiben, kochen, backen, häkeln, stricken und nähen. Irgendwann bin ich dann eh’ hundemüde und muss schlafen. Und solange das mit dem Schlafen gut geht, werde ich mir Mühe geben, nicht alles überzuinterpretieren.

Sondern: einfach mal das Leben genießen.