Praktikum beim Europarat

Wir sind rund Hundert Praktikanten und -innen, neugierig zu erfahren, was der Europarat so alles macht. Zu diesem Zweck gibt es vor dem Start des eigentlichen Praktikums eine Einführungswoche für alle, in der die verschiedensten Abteilungen vorgestellt werden. Die Hymne der EU hat mal dem Europarat gehört, muss man wissen.

Was ist Audit? Hat das was mit Rechnungswesen zu tun? (Schnarch.) Ich schau mich um im Saal voll angehender PraktikantInnen, seh‘, da schläft eine genüsslich. Mach ich halt auch kurz die Augen zu.

Die Abteilungsleiterin – Italienerin. Ich will ihr wirklich keine Verbindung zur Mafia unterstellen. Hat aber zwei Leute aus ihrer Hood eingeschleust. Die Frau, eh‘ kompetent. Der Mann – gar nicht mal so. Er ist mein Vorgesetzter. Einmal bekomm‘ ich diese Aufgabenstellung, zwei Tage später jene. Er, der Projektleiter, wirkt ziemlich ratlos. Einmal, da schreib‘ ich mir einen Haufen Fragen zusammen und will mich auf den Weg zu ihm machen. Dreh‘ mich dann aber mitten am Gang um, mach eine Kehrtwende und denk mir: „Der schnallt’s eh nicht.“ Also arbeite ich alleine weiter.

An einem anderen Tag, ich grad von der Mittagspause zurück, kommt der Depp und sagt ganz aufgeregt: „Präsentation der Ergebnisse bei der Chefin im Büro, in fünf Minuten!“ Ich, bissl fertig mit den Nerven, weil bin ja vollkommen unvorbereitet. Kriegs aber grad noch hin, sogar auf Französisch, nur dass die Chefin nicht aufhört, nach Ergebnissen zu fragen.

„Was hast du herausgefunden?“

„Mhmm. Was noch?“

„Noch etwas?“

„Was ist deine Conclusio?“

Am Ende hab‘ ich drei Monate mäßig spannende Büroarbeit hinter mir. Bei meiner Verabschiedung, ich krieg’ von allen schönes Feedback, sagt besagter Depp, so anrüchig halt: „Wir hatten ein ganz besonderes Verhältnis.“ Er meint, er sei lustig. Alle lachen, nur ich schaffe nicht mehr als ein gezwungenes Lächeln.

Und dann, paar Monate später, bin wieder zuhause. Erfahr ich, dass der Auftraggeber des Projektes, die EU-Kommission, den Geldhahn abgedreht hat. Das Projekt ist eingestellt worden. (Ergo: nix von wegen Publikation.) So groß ist also das Interesse der Europäischen Union an sozialen Innovationen. Ich unterstelle der Kommission einfach mal, dass ihr die Zwischenergebnisse des Projektes nicht gepasst haben. Da ging es nämlich um soziale Innovationen, um die Lebensverhältnisse der armen Bevölkerungsschichten zu verbessern. Zum Beispiel gab’s da ein Online-Tool, mittels dessen wesentlich mehr Menschen Zugang zu ärztlicher Hilfe gehabt hätten. Aber wen interessiert das schon.

Jedenfalls, irgendwann geht jeder Albtraum zu Ende. Alle klatschen, ich wach auf. Und was ist jetzt eigentlich Audit?

2 Kommentare zu „Praktikum beim Europarat

  1. Bringt es für mich sehr gut auf den Punkt – nur nicht zu sehr an die wirklichen Wurzeln von Problemen gehen – das passiert ja auch eher mit Menschen, die nicht so sehr „ausrechenbar“ sind : Systeme um (der Erhaltung) ihrer selbst willen – show off. Das Ganze mit imho zwei tollen Twists innerhalb der Erzählung und einer feinen Brise Gelassenheit. Feiner Stil, schöne Sprache. Sehr schön.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar